Das Kiebitz-Projekt oder: Opa Toms Zeitenwende

von Tom

Wie im Fußball gang und gäbe, hat es jetzt auch die Maintracht geschafft, einen hochqualifizierten Trainings- und Spielbeobachter als Autor zu gewinnen. Tom, Du hast das Wort!

„Zeitenwende“, wohl das Wort des Jahres 2022, beschreibt eigentlich auch meine neue persönliche Situation im Jahr 2023 ganz gut. Opa Tom steigt in die so genannte „Passive Altersteilzeit“ ein und damit in Freiheit von jahrzehntelangen Zwängen des beruflichen Alltags. Plötzlich und doch erwartet bin ich also auf einmal (jugendlicher) Rentner und weitestgehend Herr meiner Zeit. Man kann da in ein Loch der Leere fallen wie ich gehört habe. Das mag sein, aber im Fall der Fälle möchte ich auf jeden Fall ganz schnell wieder aus selbigem herauskrabbeln. An entsprechenden Ideen mangelt es nicht.

Ich baue da neben vielem anderen nicht zuletzt auch auf „meine“ Eintracht.  Fan sein ist ja schließlich auch ein Job, für den man gar nicht genug Zeit haben kann. Spiele besuchen, dann alles darüber lesen und hören, was die Frankfurter Medien hergeben und im Folgenden dann meine unmaßgebliche Meinung jedem vortragen, der sie hören will. Oder auch nicht. Was kann es Schöneres geben?

Das braucht jedenfalls Zeit, die ich früher (eigentlich) so viel nicht hatte. Auch dafür, sich hin und wieder mal ein Eintracht-Training vor Ort anschauen zu können. Nun ist das – im Prinzip – kein Problem mehr. Das Geh- und Lauftrainings-Programm am Main wird den rüstigen Sachsenhäuser Senior nun hin und wieder „rein zufällig“ in den Stadtwald führen.

Auch in der Vergangenheit hatte ich das schon hin und wieder mal gemacht, wenn ich Urlaub hatte. Das Schöne daran: Diese Besuche schienen zeitlos zu sein. Wann auch immer mich ein glückliches Schicksal auf das Trainingsgelände vor der Haupttribüne verschlug, bot sich mir – manche Dinge ändern sich scheinbar nie – dasselbe Bild. Die immer gleichen Pensionäre debattierend am Spielfeldrand, die Frankfurter Sportjournalisten mit Schwerpunkt Eintracht in der immer gleichen Besetzung von Pepi Schmidt bis Ingo Durstewitz mittendrin. Meistens unterhielten die sich sogar über dasselbe, nicht zuletzt über das nächste Trainingslager, wie man da hinkommt und wo man untergebracht ist.

Die wichtigsten unter den Kiebitzen führten die immer gleichen einseitigen Gespräche mit ihren Lieblingsspielern, wenn die vom Platz trotteten („ … E bissi Tempo und über die Flüschel wär net schlescht, dann gewinnt ihr auch widder …“). Anschließend vielleicht noch ein Schwätzchen im Museum und dann zum Mittagessen wieder zurück ins beschauliche Sachsenhausen und beim Dauth-Schneider einen Schoppen nebst kleinem Frankfurter Gericht. Das Leben kann so schön sein. So ein Kiebitz wollte ich auch einmal werden. Nun konnte das Projekt beginnen.

Wenn die Mannschaft meines Herzens denn dann mal vor Ort ist. Am 3. Januar traf sich das Team erstmals nach WM und Winterpause zum Trainingsauftakt im Stadtwald, um dann sofort wieder für zehn Tage nach Dubai ins Warme zur weiteren Vorbereitung zu entschwinden. Bei strahlendem Sonnenschein nutzte ich selbstredend die Gunst der Stunde und erschien vor Ort. Allerdings nicht nur ich. Die Parkplätze an der Zufahrt Richtung Osttribüne waren zu meiner anfänglichen Verblüffung bis auf den letzten Platz belegt, als ich eintraf. Noch waren in Frankfurt Weihnachtsferien und die Aussicht ihre Lieblinge zu sehen, hatte sehr viele Eltern mit ihren Kindern in den Stadtwald fahren lassen. Von den Rentner-Kiebitzen, die ich (vor Jahren) noch regelmäßig angetroffen hatte, sah ich zu meinem Verdruss niemanden mehr, sie wären auch in der Horde der Trophäenjäger untergegangen. Dazu hatte die Security den hinteren Zugang zu den Trainingsplätzen abgesperrt. Nur die akkreditierten Journalisten kamen da offenbar durch und tummelten sich hinter der Absperrung bzw. hatten die Möglichkeit zu Interviews mit den Vertretern von Trainer und Mannschaft.

Die Spieler kamen vom neuen Campus herübergeradelt, winkten freundlich und entschwanden aufs Trainingsgelände. Der Tross der Besucher bewegte sich dann schnurstracks auf die andere Seite, musste aber von dort direkt in die Sonne gucken und Oliver Glasner versammelte seine Getreuen zum ersten Wiedersehen auch noch ziemlich weit weg vom Zaun. Also mit dem Mithören der Neujahrsansprache wurde es jedenfalls erst mal nix. Aber das Wetter war schön.

Als die Spieler später zurück radelten, wurden sie sofort von zahlreichen mitgelaufenen Autogrammjägern umringt und bahnten sich ihren Weg zurück zum Campus mühsam durch die Menge, dabei allerdings stets freundlich lächelnd und sich gerne fotografieren lassend. Wobei sich fast alles um Kevin Trapp, Kolo Muani und Jesper Lindström scharte. Besonders der französische Vizeweltmeister und Fast-Endspiel-Torschütze Kolo Muani bewies dabei extrem viel Geduld und erfüllte den kleinen Fans nahezu jeden Wunsch. Starallüren sind dem jungen schlaksigen Mittelstürmer anscheinend völlig fremd, der sich in Frankfurt weiter sichtlich wohlzufühlen scheint. Aber auch der Kevin und der Jesper waren ließen sich noch ablichten, als die anderen Kollegen gefühlt schon vom Mittagessen zurückkamen. Die Atmosphäre hätte entspannter nicht sein können.

An diesem Tag waren Pressemeldungen über ein mögliches Interesse des FC Bayern an Kevin Trapp als möglichen Vertreter für den verletzten Nationalkeeper Manuel Neuer bekannt geworden. Trapp wurde von den kleinen Fans nicht darauf angesprochen, die wollten nur ihr Autogramm oder Foto, aber der Keeper lächelte ohnehin alles weg und wirkte nicht wie einer, der vor dem Abschied steht.

Fachlich war mein erster Ausflug jedenfalls im Ergebnis wenig ergiebig. Die Truppe entschwand ohne mich für 10 Tage ins Trainingslager nach Dubai und mein Kiebitzleben war erst mal wieder vorbei.

Aber als die Recken dann zurückkehrten war ich am 17. Januar natürlich sofort wieder mehr oder weniger pünktlich vor Ort. Man gönnt sich ja sonst nichts. An diesem Dienstag vor dem Spiel gegen Schalke (Samstag, 15.30 Uhr) schien die Sonne nicht mehr, es war kalt und windig. Schüler waren nach Ende der Ferien jetzt keine mehr da, aber leider wieder auch keine mir bekannten Pensionäre. Christopher Michel von Sport1 erzählt mir ein paar Tage später, dass es diese Gruppe so leider auch gar nicht mehr gibt. Die Zeiten haben sich also doch geändert. Auch die Journalisten waren an ihrem besagten Aussichtsplatz auf der anderen Seite nur schemenhaft zu erkennen.

Die Spieler dagegen schon mehr, die einzelnen Trainingsgruppen kamen immer wieder in nähere Sichtweite. Dem Mario Götze kann man schon mal ein paar Minuten beim Kicken zugucken. Das wärmt das Kiebitzherz.

Oliver Glasner wird am Donnerstag in der Pressekonferenz allerdings sagen, dass ihm das ein oder andere noch etwas holperig vorkam, ich als Laie dagegen bin durchaus beeindruckt. Das Bällchen läuft auf engstem Raum nicht schlecht finde ich. Höhepunkt für mich ist ein Trainingsspiel auf verkleinertem Feld, ich zücke das Handy und versuche mich als Videoanalyst. Glasner fordert mehrfach „One Touch“, ansonsten dürfen sich die Spieler jetzt frei austoben. Auf meinem „Wackelfilmchen“ hoppelt der Ball am Ende nach einem Fehlpass ins Aus und wird von Glasner ins Feld zurück gestupst. Ähnlichkeiten mit dem Spiel gegen Schalke sind im Nachgang vielleicht doch nicht so ganz zufällig.

Am Samstag zum Spiel ist es jedenfalls gefühlt „schweinekalt“ und ich ziehe mich daher nach Eintreffen ins Stadion umgehend ins Eintracht-Museum zurück, wo mich Uli freundlicherweise in meinem neuen Champions-League-Trikot fotografiert, einem Abschiedsgeschenk meiner Kollegen. Ich erzähle ihm von meinen zarten Kiebitzversuchen und fabuliere über noch gar nicht entstandene Trainingsberichte aus erster Hand. Uli schickt mir jedenfalls das Foto und ich verspreche ihm dafür dankbar bei nächster Gelegenheit einen Bericht, exklusiv für die „Maintracht“. Topp, die Wette gilt und schon bin ich in der Pflicht. Was daraus wohl werden wird?

Erst mal jedenfalls gar nix, denn nach dem 3:0 (Arbeits-)Auftaktsieg gegen Schalke startet die Eintracht sofort in eine englische Woche mit Auswärtsspielen in Freiburg am Mittwoch und München am Samstag. Für Kiebitze gibt es da nichts zu ernten, das eng getaktete Programm lässt keine normalen Trainingseinheiten zu, jedenfalls keine, bei denen mich die Eintracht vor Ort dabeihaben will.

Am Ende dieser englischen Woche und dem abgeschlossenen 18. Spieltag hat die Eintracht dann insgesamt 5 Punkte geholt. Mit den 1:1 Unentschieden in Freiburg und München kann man im Eintracht-Umfeld gut leben, alle Chancen bleiben intakt, Luft nach oben gibt es aber auch noch genügend. Und schon ist der Januar vorbei, aber gewissermaßen in letzter Sekunde schaffe ich es am Dienstag, dem 31. Januar dann doch noch einmal in den Wald zu einem Training und berichte jetzt natürlich gerne darüber. Wir sind ja unter uns.

Dass es um 11.00 Uhr los geht, erahne ich mehr als ich es weiß, in den sozialen Netzwerken der Eintracht wird das nicht größer publiziert. Da mein persönlicher Schrittzähler die Marke „250 km“ für den Januar in Sichtweite ausweist, ist der Wandertag in den Stadtwald fast schon Ehrensache. Opa Tom ist jedenfalls in Topform und erreicht das Training „just in time“.

Da auch „Deadline-Day“ ist, also Transferschluss für mögliche Zu- und Abgänge für die Rückrunde, wundert es nicht, dass heute einiges mehr los ist rund um den Trainingsplatz. Das passt. Etliche Kameraleute sind vor Ort, die sich allerdings um kein Interview mit mir bemühen. Ich nehme das sportlich und stelle gleichzeitig mit einem kleinen Grinsen fest, dass heute zumindest der ein oder andere mir bekannte Frankfurter Sportjournalist warum auch immer auf „unserer“ der Öffentlichkeit zugänglichen Seite des Platzes steht. Auch ein Vertreter der Eintracht-Presseabteilung ist da. Die versammelten Herrschaften kommen ins Plaudern. Jetzt ist es fast wie früher und das ein oder andere kann man da schon aufschnappen, wenn man die Ohren spitzt. Was ich tue.

Natürlich geht es auch noch um das Bayern-Spiel und tatsächlich auch hier noch einmal um die Startelf der Eintracht mit Rode und Hasebe. Da wird seitens der Journaille ein wenig gefrotzelt: Wenn das eine Klatsche gegeben hätte, dann hätten wir, die wir die beiden ja vehement für die Startelf gefordert haben, wohl ein Problem gehabt. Nach dem Spiel ist jetzt natürlich gut lachen. „Ihr solltet mehr auf uns hören.“ Ob die Eintracht das jetzt künftig tut, bleibt offen, die Eintracht-Seite verweist vorsichtig auf Oliver Glasners Einlassungen auf der PK vor dem Bayern-Spiel zu möglichen Einsätzen von Makoto Hasebe.

Klar, das habe der Trainer schon schlüssig erklärt, dass der Japaner körperlich nicht mehr in der Lage sei, jedes Spiel zu bestreiten. Dass bei einem Einsatz unseres Japaners auch immer spieltaktische Überlegungen eine Rolle spielen können, wird von Eintracht-Seite ebenfalls angemerkt. Bei einem großen kopfballstarken Zielspieler in der gegnerischen Stürmerzentrale könne man sich auch aus diesem Grund einmal gegen Hasebe entscheiden, wenn der Gegner überwiegend mit hohen Ballen agiert. Gegen die Bayern erwartete man das eher nicht und vertraute auf die Ruhe und Ausstrahlung des weisen Makoto.

Interessant fand ich noch die von einem, der es wissen sollte, geäußerte Einschätzung, dass an einem Wechsel des ehemaligen Mainzer Innenverteidiger St. Juste von Beginn an eigentlich nicht wirklich was dran gewesen sei und die FR sich hier auf eine falsche Fährte habe locken lassen. Markus Krösche wird sich später bei EintrachtTV ähnlich äußern. Allerdings hält sich auch in der FAZ vom Mittwoch, dem 1. Februar, noch die Einschätzung, der Wechsel sei nur nicht zustande gekommen, da Sporting Lissabon den Spieler nicht habe ziehen lassen.

Ich jedenfalls kann an diesem Tag sofort den neuen Linksverteidiger Philipp Max wenn nicht begrüßen so doch mir anschauen. Der steht scheinbar ein wenig verloren und allein am Spielfeldrand. Bevor ich daraus falsche Schlüsse ziehe, merke ich aber, dass dies der Übungseinheit geschuldet ist, die unter Oli Glasner gerade abläuft. Der Neue muss da einfach auf Zuspiele warten, die noch ein wenig auf sich warten lassen.

Dass ich den Sportskollegen Luca Pellegrini heute zum letzten Mal sehe, deutet sich nicht wirklich an, er nimmt ganz normal am Trainingsbetrieb teil. Im Nachhinein meine ich mich zu erinnern, dass er sich immer in Gruppen aufhielt, in denen Philipp Max nicht mitmachte. Der eine kommt, der andere geht. Nach außen alles Business as usual.

Das gilt übrigens ganz besonders auch für Daichi Kamada, der natürlich bleibt, obwohl er im Laufe des Tages in den sozialen Netzwerken mehr oder weniger aufgeregt wegen einer angeblichen Millionen-Ablöse im zweistelligen Bereich in letzter Sekunde zu Manchester United gerüchtet wird. Am Ende passiert da zum Glück(!) gar nichts. Und die aufgeregte Stimmung etwa im „Fußball-2000-Live-Podcast“ am späten Nachmittag kontrastiert auffällig mit der Ruhe im Frankfurter Stadtwald. Daichi kickt zur Mittagszeit völlig entspannt und technisch fein mit. Wie er es schaffen will, bis 18.00 Uhr noch einen neuen Vertrag in Manchester abzuschließen, weiß nur die Gerüchteküche.

Eine Szene mit Sebastian Rode bleibt mir noch haften. Die Spieler simulieren Umschaltsituationen („One Touch“!) mit finalem Torabschluss. Die meisten ballern dann irgendwann einfach drauf, der Seppl umkurvt Ersatzkeeper Ramaj dagegen mit einer solchen Selbstverständlichkeit und schiebt locker ein, dass ich spontan in Beifall ausbrechen möchte. Kolo Muani übrigens auch wieder mit der ein oder anderen Szene zum Zunge schnalzen, Djibril Sow auch extrem cool und sicher beim Abschluss.

Und da ich jetzt Mittagessen muss, verabschiede ich mich dann schnell und mache mich auf den Heimmarsch. Projekt Kiebitz ist angelaufen. Ich bleibe am Ball.

7 Gedanken zu „Das Kiebitz-Projekt oder: Opa Toms Zeitenwende“

  1. Gute Güte Tom. Ich bin ja auch Rentnerin, aber nur on Tour 😉 Danke für die Eindrücke, vielleicht komme ich ja nächstes Mal dazu. Sag mir Bescheid wenn es soweit ist. 💯

  2. Danke für Eure lieben Rückmeldungen.
    Und ich sage gerne Bescheid, liebe Vatmier, wenn ich mal wieder draußen bin … 😊

Kommentare sind geschlossen.

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