Wasser in den Main

von Schnix

Nachdem ich heute in meinem „Heimat“-Blog-G die Spieltags- und sonntäglichen Kommentare gelesen habe, habe ich eigentlich gar keine Lust mehr, überhaupt noch was zu schreiben. Aber ich hab’s dem Uli versprochen, also sei es denn so, werde ich also auch wieder etwas Wasser in den Main schütten. Denn genau so fühlt es sich mittlerweile an, wenn man versucht, komplexere Zusammenhänge einzuordnen. Eigentlich scheint daran kaum noch jemand interessiert, es scheint hauptsächlich darum zu gehen, die eigene, simplere Weltsicht raus zu posaunen und sie sich von einigen anderen bestätigen zu lassen. Diejenigen, die sich um eine differenzierte Beurteilung bemühen, werden dann gerne lächerlich gemacht, der Schönfärberei bezichtigt, oder einfach nur noch klischeehaft inhaltlich ignoriert. Ist ja auch bequem, andere, Spieler, Trainer, Fachleute, differenzierende Kommentatoren, einfach runterzumachen. Lösungen für die so lautstark kritisierten angeblichen Defizite hat dabei keiner der Krakeeler zu bieten. Dasselbe Bild wie in der Politik. Die braune Brut der AfD hat auch keine Lösungen zu bieten, aber man kann so schön mit krakeelen. Und so werden sie immer mehr. Das kann man nicht vergleichen? Doch, kann man schon. Hier wie dort spielt die eigene Hilflosigkeit, sich in einer immer komplexer werdenden Welt nicht mehr zurechtzufinden und die Sehnsucht nach einfachen Erklärungen und Lösungen eine große Rolle.

Die moderne Fußballwelt ist komplizierter geworden, einen Martin Lanig, der völlig ohne Berater auskommt und einen ganz simplen Vertrag aushandelt und per Handschlag abschließt, gibt es nicht mehr und wird es auch nie mehr geben. Heutige Verträge sind höchst komplizierte Vertragswerke mit vielfältigen Klauseln und Rechteabtretungen. Vereine sind keine Vereine mehr sondern AGs und gehören nicht mehr den Mitgliedern sondern Investoren und GmbH & Co. KGs, Staaten und Fondsgesellschaften. Fußball und dessen Protagonisten sind ein Investment. Ganze Vereine werden in anderen Ländern gekauft, nur um als Handelsplattform für vielversprechende Spieler zu dienen, Spieler werden für einen Tag irgendwo geparkt, um da Gewinne zu realisieren, Deals werden abgeschlossen mit Weiterverkaufsbeteiligungen und Provisionen für Heerscharen von „Beratern“. Wollen wir bei diesem unappetitlichen Spiel als hybrides Mischwesen irgendwie mitspielen, und das auch noch mit dem Wunsch, möglichst dauerhaft um die internationalen Plätze, und nur das bietet die Garantie, nicht das Schicksal der Nürnberger, Lauterer, Schalker usw. zu erleiden sondern sich dauerhaft in der ersten Liga zu halten, gibt es keine Alternative zu dem eingeschlagenen Weg.

Für Mannschaften wie unsere gibt es in dieser Maschinerie nur die Möglichkeit, eben auch Spieler möglichst günstig einzukaufen und sie, nach einer möglichst langen Verweildauer, in denen sie hoffentlich dazu beitragen, die sportlichen Ziele (internationales Geschäft), die ja eigentlich wirtschaftliche Ziele sind, zu erreichen, dann entsprechend teurer wieder weiter zu verkaufen. So sieht’s leider aus. Und so werden wir jede Saison neue Spieler bei uns sehen, die alle erstmal eingebaut werden müssen. Und das dauert. Je nachdem, wie groß so ein Umbruch ist, dauert das mehr oder weniger lang. Und wenn du ein neues Spielsystem etablieren möchtest, mit dem es einzig möglich ist, dauerhaft international mitzuspielen, dauert das entsprechend länger. Nein, auch Atletico Madrid spielt inzwischen so. In Nuancen sieht das selbstverständlich immer überall anders aus, aber erfolgreicher Fußball ist Ballbesitzfußball. Und nein, Ballbesitzfußball heißt nicht, wieviel Prozent Ballbesitz man in einem Spiel hat.

Ballbesitzfußball beschreibt eine Spielidee, bei der man selbst mit dem Ball kreative Wege zum gegnerischen Tor findet und nicht nur gegnerische Aktionen zerstört und versucht schnell Abschlüsse zu bekommen. Um selbst das Spiel zu bestimmen, braucht es technisch versierte, physisch und gedanklich schnelle Spieler und bis zum Erbrechen eingeübte Abläufe. Die Spieler dazu haben wir jetzt allmählich. Die Abläufe können noch überhaupt nicht automatisiert sein, dazu haben wir die ganze Zeit, und das ist immer noch erst gerade einmal gut eine halbe Saison, zu oft aus den unterschiedlichsten Gründen mit unterschiedlichen Formationen spielen müssen. Eine echte Entwicklung einer Mannschaft mit einem neuen Trainer, neuen Spielern und einer komplett neuen Spielidee dauert. Lange. Aber bei manchen Kommentatoren reicht die Vorstellungskraft dafür nur bis maximal zum sechsten Spieltag. Mit der Realität hat das leider nichts zu tun. Auch wenn man schon seit 50 Jahren ins Stadion geht.

Ob Toppmöller dafür der richtige Mann ist? Ich weiß es nicht, dafür fehlen mir viel zu viele Informationen, dass ich das mit derselben Sicherheit behaupten könnte, wie so viele behaupten, er sei es ganz sicher nicht und jetzt schon, auf Platz 6 (!) liegend, seinen Rauswurf fordern. Ich maße mir nicht an, das sicher beurteilen zu können, und ich bin vom Fach. Zu viele Faktoren spielen dabei eine Rolle, die man als Zuschauer in Stadion oder am Bildschirm überhaupt kein bisschen mitbekommt. Aber ich kann als Zuschauer eine Entwicklung und ein Konzept sehen. Manche meinen ja dann ein Konzept zu erkennen, wenn die Mannschaft ein gutes und erfolgreiches Spiel zeigt. Nun, auch davon hatten wir einige. Allerdings darf man Konzept nicht mit Ergebnis verwechseln. Gerade auch in Spielen, die nicht so super laufen, kann man ein Konzept sehen, und das sehe ich. Nein, das sieht nicht immer schön aus, aber so ist das eben, noch dazu mit vielen jungen Spielern mit den zu erwartenden Formschwankungen. Alles was ich sehe zeugt davon, dass Toppmöller mit seinem Team einen guten Job macht. Unsere Defensive als Basis ist stabil (dochdoch!), er entwickelt junge Spieler und integriert alle Zugänge, und entwickelt ein flexibles Offensivspiel.

Die im Raum stehende Behauptung, er würde die Mannschaft nicht erreichen, entbehrt jedweder Grundlage. Lächerlich. Die Spieler würden ihn und seine zu komplizierten Anweisungen nicht verstehen? Hahaha. Da sollte man nicht von sich auf andere schließen. Die ganzen Jungs spielen alle seit mindestens zehn Jahren, also ihr halbes Leben, in irgendwelchen Leistungszentren und arbeiten seitdem immer ganz genau so. Nur weil man selbst nicht in der Lage ist, ein Smartphone zu bedienen, sollte man nicht den Fehler machen zu glauben, die Anderen könnten das auch nicht. Die Meisten können das. Besser. Viel besser. Toppmöller Art ist zu spröde, da „fließt“ nichts, der kommt mit seiner Art nicht bei den Spielern an? Sehe ich nicht so, kann ich aber auch nicht wirklich beurteilen, ich bin nie dabei, wenn der mit seinen Spielern kommuniziert. Und natürlich gibt es immer Spieler, die mit dem einen oder anderen Trainertyp besser oder schlechter zurechtkommt, der eine eben mit dem Quälix, der ihm in den Arsch tritt, der andere mit dem weinseligen Veh, unsere Itsche brauchten den Kovac, die Bayern-Millionäre fanden den eher so semi. Allen Recht machen kannst du es nie. Ich empfinde den Toppmöller als klar, ich sehe eine Entwicklung und das momentane Ergebnis ist bislang mit Platz 6 besser als unter den Bedingungen von mir erwartet.

Überhaupt: Was erwartet man als Zuschauer? Dass die jüngere Erfolgsgeschichte mit den Pokalsiegen bei der Eintracht jetzt einfach immer so weiter geht? Dass wir jetzt um die Meisterschaft mitspielen? Mindesten einen Titel pro Saison holen? Nein? Na dann, etwas Geduld! Jedem, der sich irgendwie damit beschäftigt hat, war doch klar, dass in solch einer Umbruchsaison keine Wunderdinge zu erwarten sind und es große Leistungsschwankungen geben wird. Andere Mannschaften, die solche Umbrüche hatten, wie z.B. der jetzt so groß aufspielende VfB, sind dabei fast abgestiegen. Die haben aber da schon eine gute Entwicklung gezeigt, die man sehen konnte. Die haben viele blöde Ergebnisse gehabt. Einige Topspieler verloren, gut ergänzt, aber hauptsächlich geduldig geblieben und auf die vorhandenen vielen jungen Spieler gesetzt. Man sieht jetzt, dass sich die Geduld gelohnt hat. Aber auch die verkacken mal ein Spiel.

Leverkusen spielt eine grandiose Saison, mit viel besseren Spielern standen die letzte Saison zwischenzeitlich auf Rang 17. Die haben sich perfekt auf den richtigen Positionen verstärkt mit Spielern, die wir nicht bekommen hätten, außer vielleicht Boniface, wenn wir ihm rechtzeitig einen Stammplatz garantiert hätten; und mutig einen Newcomer als Trainer geholt, der sich als Glücksfall entpuppt. Oder vielleicht eben doch nicht als Glücksfall, vielleicht hat er die Verantwortlichen eben mit seinem Konzept überzeugt. Und als Typ, Sportler und Mensch ist der sowieso eine Ausnahmeerscheinung. Der war als Spieler schon ein Spielversteher und wird auch als Trainer eine große Karriere haben. Diese Vita hat Toppmöller nicht, aber die haben auch Klopp, Tuchel und Nagelsmann nicht. Ausnahmetrainer sind sie trotzdem alle drei. Ob Toppmöller das wird? Keine Ahnung. Aber etwas Zeit geben muss man ihm schon.

Zum Spiel was sagen? Och nö. Vielleicht soviel: Wir hätten noch vier Tore schießen müssen, Bochum noch zwei können. Bei uns war ein sehr gut rausgespieltes drin, bei Bochum ein glücklich abgefälschtes. Ja, Bochum hat, im Rahmen ihrer Möglichkeiten ein stabiles Spiel abgeliefert, nach Aussage aller Bochum-Fans, die ich gesprochen habe, ihr bestes Auswärtsspiel diese Saison. Einige möchten gerne so stabil spielen wie Bochum. So spielen wie Bochum?!? Ernsthaft? Die werden, so leid es mir tut, auch irgendwann in den nächsten Jahren den Weg der Lauterer gehen. Unsere Konkurrenten um die internationalen Plätze und damit um einen dauerhaften Platz in der Liga sind Vereine wie Freiburg, Wolfsburg und Hoffenheim. Die übrigens auch gerade noch mit Glück in der Nachspielzeit zuhause gegen Köln den Ausgleich geschossen haben. Wir fangen gerade an, am Beton zu kratzen, und haben gerade mal ein paar Bröckchen rausgebrochen.

Ich habe noch reichlich Geduld mit Toppmöller und der Mannschaft.

Titelbild: Helge Prang/Getty Images

8 Gedanken zu „Wasser in den Main“

  1. @Korken und Uli:
    Und das lasst ihr hier stehen? “Lächerlich, AFD Krakeeler die zu doof sind, die Welt zu verstehen?” Echt jetzt? Ihr kennt die Leute, die er so tituliert!!! Das ist euer BlogAnspruch? I Zum Kotzen.

  2. esszett,

    Da es sich um einen Gastbeitrag mit der Meinung des Gastautoren handelt kann ich das durchaus auch hier stehen lassen, finde ich. Eine Diskussion zu den Punkten, die vielleicht aufstoßen, schadet doch nicht.

  3. Wenn mich jemand in eine Reihe mit AFDlern stellt, ist das keine Diskussion. Das ist eine Beleidigung, mindestens. Und ganz sicher werde ich mit so jemandem nicht diskutieren. Aus den Gesprächen mit ihm nach dem Spiel heraus formuliert er nämlich diese Dinge. Und ich hatte mit ihm gesprochen. Das ist also zu allem anderen auch noch hinterfotzig.

  4. Hallo!
    Der politische Vergleich ist unpassend❗️
    Zur Entwicklung sei gesagt, dass in jeder Spielidee die Basics stimmen müssen völlig unabhängig von Systemen oder ähnlichem.
    Die vier Spielphasen gelten für alle Teams.
    Was mache ich wenn der Gegner den Ball hat, wann und wie will ich den (zurück) erobern? Was mache ich im Ballbesitz – die eigene insbesondere offensive “Spielidee”.
    Das kann dauern, da bin ich dabei.
    Aber nach Balleroberung schnellstmöglich umzuschalten, dass Bedarf bestenfalls einiger zu trainierenden Laufwege, die Spieler auf diesem Niveau nicht überfordern.
    Ich bin der Meinung, dass die Stärken einzelner Spieler maximal genutzt werden müssen und im Puzzle die Tagesbestelf bestimmen.
    Genau hier stellen sich Fragen zu Personalien.
    Stichwort: Tuta, Larsson, Knauf und auch taktische Grundformstionen.
    Ich glaube sehr wohl, dass neue Spielidee vermitteln nicht zwangsläufig die aktuelle Spielweise rechtfertigt.

  5. Ein toller, gutgeschriebener Artikel, das vorweg. Welchen ich allerdings so nicht teile.
    Politische Themen, bei der die AFD immer einfache (dumme) Lösungen postuliert, sind meist sehr komplex, weswegen es auch keine einfachen Lösungen gibt. Wenn Fliesenleger Günther aus Erfurt meint, die Flüchtlings- und Migrationskrise via Telegram Kanal lösen zu können, dann ist das absurd, gefährlich und dumm. Sehr dumm.
    Fußball hingegen ist erstens Unterhaltung und zweitens immer noch ein relativ einfaches “Spiel”. Mit Zufällen, Glück und Unglück. Die gleiche Mannschaft die in der vorherigen Saison Furore erzielt, kann eine Saison später absteigen, etwas was z.B. die Mainzer gerade schmerzlich erfahren. “Haste Scheisse am Fuss haste Scheisse am Fuss” oder “wenns läuft, dann läufts” sind Weisheiten, die in meinen Augen immer noch gelten.
    Insofern sind die Erklärungen wie im o.g. Beispiele an Stuttgart oder Leverkusen auch nur bedingt richtig. Beiden fehlt nämlich ein wichtige Erkenntnis: der Trainer hat den Laden in Griff und das Team zu einem Team zusammengeschweißt. Weswegen auch die Leistung einer Mannschaft nicht nur die Summe aller Einzelspieler darstellt. Siehe Tuchel. Überhaupt: Tuchel und Nagelsmann werden im gleichen Atemzug mit Klopp genannt. Ich sehe da Unterschiede. Für Klopp würden alle Spieler wahrscheinlich freiwillig eine Klippe runterspringen. Diese Verkopfung von Nagelsmann und Tuchel, vielleicht hat die sich schon überlebt, oder anders: vielleicht geht jedes noch so tolle System nur, wenn der Trainer das umgesetzt bekommt. Alonso wurde oben ja auch dieses gewisse Etwas attestiert. Wenn Alonso sein System umstellt, dann ziehen die Spieler dann eben auch mit, so einfach ist das manchmal.
    Zur Eintracht: ich glaube wir hatten viel Glück bisher, deswegen Platz 6. Hätte die SGE weniger Glück gehabt, hätte der Trainer ein anderes Problem. Zeit geben hin oder her.

  6. esszett,

    Esszett,
    Schade, dass Du Dich da als Krakeeler angesprochen fühlst, denn das bist Du ja nicht. Und wie Du Dich von mir in eine Reihe mit AfDlern gestellt sehen kannst, ist mir unverständlich.
    Alles nur deswegen, weil ich den Ausdruck „fließend“ verwendet habe, den Du im Gespräch am Museum benutzt hast, und der das sehr gut erklärt hat, was Du meintest? Ich habe eine allgemeine Situation skizziert und dabei niemanden direkt angegriffen. Und selbstverständlich verwende ich dabei Begriffe, die im Netz oder der persönlichen Diskussion gefallen sind. Und wenn Du das richtig gelesen hast, wirst Du sogar feststellen, dass ich Dir bei dem von Dir beschriebenen Sachverhalt mit dem verwendeten Begriff nichtmal widerspreche. Ich sage lediglich, dass es nicht wirklich möglich ist, das zu beurteilen ohne da näher dran zu sein. Dass Du das so wahrnimmst und so einschätzt sei Dir völlig unbenommen!
    Was daran hinterfotzig ist, wenn ich einen von Dir verwendeten Begriff benutze, verstehe ich nicht.

  7. Unterkomplex / verkomplizieren. Alles ist möglich. Als unzufriedener Krakeler wird es mir schwer fallen, meinen FDP Parteikollegen meine AfD Nähe zu erklären.

  8. Gude Schnix,
    ich lese Deine Texte sehr gerne. Und auch dieser hier versucht nach meinem Verständnis sehr gut zu argumentieren. Du magst es wenn man sich argumentativ mit Deinen Ansichten auseinandersetzt. Bravo!

    Die Aufregung über Deine AfD Bemerkung kann ich nicht nachvollziehen. Als Beispiel für notorische “Krakeeler” finde ich sie angemessen. Bitte nicht kirre machen lassen und weiterhin kritisch argumentieren! Ich scrolle im „Heimat“-Blog-G sehr viel, versuche Posts von provozierenden Krakeelern zu ignorieren und suche nach Perlen von denen die zur argumentativen Diskussion bereits sind.

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