In der letzten Folge der Kadergedanken beschäftigt sich unser Gastautor Schnix mit dem Trainer und zieht sein Fazit. Zuerst beschäftigte er sich in Teil eins mit den Torhütern und der Abwehr, Teil zwei betraf das Mittelfeld und Teil drei den Sturm. Vielen Dank, Schnix, für die tolle Arbeit.
Dino Toppmöller
Schon bei seiner Verpflichtung spaltete er die Fangemeinde der SGE in zwei Lager. Die einen, die erfreut waren, einen Trainer mit zumindest kurzer Eintracht-Vergangenheit und großer Verbundenheit zum Verein zu bekommen und eben einen jungen, aufstrebenden Mann aus der neuen Trainergarde mit neuen Vorstellungen und neuen Methoden statt der immer gleichen alten Haudegen, die sich von einer Entlassung zur nächsten hangeln.
Die anderen, die schon vorher davon überzeugt waren, dass das nix werden kann, eben weil er noch keinen großen Namen hatte und noch keine Erfahrung als Cheftrainer in der Bundesliga hatte. Und die ihn dann defätistisch als Trainer-Novize runtergeputzt haben.
Gut, es gab und gibt viele Beispiel, wo sich Vereine auf eben einen solchen Novizen eingelassen haben. Jürgen Klopp (ok, der hat in der zweiten Liga angefangen), Thomas Tuchel, Julian Nagelsmann, Christian Streich, aktuell Julian Schuster, um nur die prominentesten zu nennen, und letztes Jahr ist eine Mannschaft mit so einem Trainer-Novizen sogar Meister geworden. Erfolg oder Misserfolg scheint also nicht daran zu liegen, ob jemand „neu“ ist. Sondern daran, welche Erfahrung er schon gemacht hat, wie er als Typ bei der Mannschaft ankommt, was er für eine Idee von Fußball für eine Mannschaft hat, und welche Unterstützung er bekommt.
Bei der Eintracht fand letzte Saison der wohl größte Umbruch in Ihrer Geschichte in der ersten Liga statt. Verlassen haben uns Djibril Sow, Daichi Kamada, Jesper Lindström, Rafael Borré, Christopher Lenz, Evan N’Dicka, Almamy Touré, alles Europapokal-Helden und Stammspieler, und zu schlechter Letzt dann doch ziemlich überraschend noch Kolo Muani. Damit fehlten uns wettbewerbsübergreifend schon mal 56 Tore. Und eine eingespielte Mannschaft. Und es sollte ein neues Spielsystem eingeführt werden.
Viele der etablierten Trainer hätten da wahrscheinlich abgewunken, obwohl natürlich ein Arbeitsplatz bei den obersten 18 Arbeitgebern national in dieser Branche immer attraktiv ist. Aber ich kann mir vorstellen, dass für viele da das Risiko des Scheiterns von vornherein zu groß war, und sie dann doch lieber die noch laufende Zahlung des letzten Vereins oder die Abfindung ausgesessen haben und auf ein besseres Angebot gewartet haben. Die Eintracht-Verantwortlichen aber hatten Dino auf dem Schirm und beschlossen, es mit ihm anzugehen.
Dino Toppmöller hatte zwar keine Erfahrung als Cheftrainer in der Bundesliga, sammelte erste Erfahrungen im Trainerbereich aber schon seit 2010, 2016 wurde er Triple-Sieger mit Düdelingen und führte sie dann nach der erneuten Meisterschaft 2017 in die Europa-League. In der folgenden Saison gewann er wieder das Triple und wechselte dann nach Belgien. 2020 wurde er Co-Trainer in Leipzig und folgte Nagelsmann 2021 nach München.
Er ist natürlich (noch) kein „Weltklassetrainer“, wie Timmo Hardung ihn äußerst unglücklich titulierte, dieses Prädikat hat sich Dino nicht selbst ausgesucht. Wurde im Folgenden aber immer wieder damit verunglimpft. Genauso wie mit dem flapsigen Spruch als „Troublemaker“, den er unbedacht aus der Choreo beim CL_Spiel gegen Sporting Lissabon übernommen hatte.
Die letzte Saison begann mit einer stark verbesserten Defensive und einer zunächst eher harmlosen Offensive. Toppmöller hatte, wie man das richtigerweise macht, erst einmal defensive Abläufe trainiert, einfach weil die wesentlich einfacher einzuüben sind und einer Mannschaft Stabilität geben. Im Laufe der Saison hat er dann versucht, immer mehr offensive Automatismen und Abläufe zu erarbeiten.
Das ist im laufenden Spielbetrieb aber sowieso schon schwierig, fast völlig unmöglich ist es aber, wenn man sich lange noch in drei Wettbewerben befindet und im Training eigentlich nur regenerativ arbeiten kann. Er hat es trotzdem probiert, und entsprechend rumpelig sah es dann auch aus. natürlich kann man Defensive, Arbeit gegen den Ball, Spielaufbau mit und ohne Ball und Offensivaktionen nicht quasi in Modulbauweise trainieren, die verschiedenen Felder beeinflussen sich gegenseitig. Dadurch wird dann eben die Abwehrarbeit wieder etwas unsicherer, wenn auch die Offensivaktionen etwas besser wurden. Dazu kamen dann noch Verletzungspech (vor allem Rode) und die diversen, normalen Formschwankungen junger Spieler, die diversen mentalen Afrika-Cup-Löcher, und vor allem natürlich die Tatsache, dass wir komplett ohne gelernten Stürmer gespielt haben.
Keine andere Bundesliga-Mannschaft hatte ein derartiges brutales Handicap! Dass wir die Saison auf einem Europa-League-Platz abgeschlossen haben, ist unter diesen Umständen gar nicht hoch genug zu bewerten. Nein, das liegt nicht hauptsächlich daran, dass ja alle anderen so geschwächelt haben, das ist ja immer irgendwie so. Letzte Saison sind die Spitzenmannschaften enger zusammengerückt, mit dem enteilten Sensations-Saison-Leverkusen vorneweg und dem üblichen Ausreißer Stuttgart dabei. Wir waren Best of the Rest. Und das war eine Leistung.
Die Bundesliga ist nun heutzutage nicht mehr überwiegend eine Sportveranstaltung, sondern ein gewichtiger Teil der Unterhaltungsbranche. Offensichtlich fühlten sich viele Schauer vom Umbruch-Gegurke der Eintracht nicht mehr ausreichend unterhalten. So wuchs der Unmut über das Gebotene. Aus der Sicht des zu Unterhaltenden auch durchaus nachvollziehbar. Den interessieren die Abläufe hinter den Kulissen nicht. Der zahlt, Ticket oder TV-Abos, und möchte bespaßt werden. Die sollen liefern, was er bestellt hat. Das führt dann dazu, dass sich auch mal der AG-Vorstand entsprechend äußert. Dass das so nicht funktioniert, interessiert die Meisten nicht. Jeder Trainer hat aber allerhöchsten Respekt davor, was der Dino da letzte Saison geleistet hat! Das sieht man als Laie aber so nicht, oder es ist Einem worscht.
Natürlich hat der Dino auch Fehler gemacht, wie sie auch etablierte Trainer machen. Die gehen damit oft aber routinierter um. Routinierter, nicht unbedingt besser. Ich glaube, dass der Dino sehr viel aus letzter Saison auch für sich gelernt hat. Auch im Umgang mit den Medien. Er ist und bleibt aber ein eher trockener Typ, er ist kein weinseliger Armin Veh. Entscheidend ist ja sowieso die Arbeit mit der Mannschaft. Und da ist sein Standing im Team wohl hervorragend. Klare Ansprache, authentisch, fair, empathisch. Ein weiterer großer Pluspunkt ist seine Mehrsprachigkeit. Klare Kommunikation. Wie viel Detailinformationen man seinen Spielern in welchen Situationen mitgeben kann, muss man immer erst herausfinden, das ist auch immer individuell sehr verschieden. Nach den ersten Eindrücken der neuen Saison läuft ja einiges auch schon besser, auf und neben dem Platz. Ich glaube, dass wir da einen sehr vielversprechenden Trainer auf der Bank haben und freue mich, dass die Verantwortlichen weiter von ihm überzeugt sind. Einige Ex-Spieler sind ja auch nachhaltig von ihm überzeugt. Jamal Musiala z.B. holt sich nach wie vor Rat von ihm. Wenn er es schafft, seine Idee vom ballbesitzorientierten Angriffsfußball umsetzen zu lassen, und ich bin sehr zuversichtlich, dass er das schafft, dann werden wir viel Spaß haben!
Fazit
Wir haben in dieser Transferphase kaum wichtige Abgänge zu verzeichnen gehabt, allein Willian Pacho ist dem Lockruf des Scheichs gefolgt. Allerdings haben wir uns damit sehr sinnvoll und gut sogar verstärkt, der Kader insgesamt ist deutlich runder und tiefer geworden. Viele spannende, ganz junge Versprechen auf die Zukunft, einige davon schon auf die sehr nahe Zukunft. Insgesamt ist die Mannschaft gefestigter, die Meisten kennen sich jetzt eben schon eine komplette Saison und haben entsprechend Zeit gehabt, sich in der Liga und der Stadt in einem neuen Land einzuleben. Und zu verstehen, was der Trainer genau von ihnen will.
Allein diese Tatsache, dass ein Großteil der Mannschaft sich jetzt besser kennt, wird dafür sorgen, dass sie besser miteinander Fußball spielen. Und die erfahreneren Neuverpflichtungen wie Theate und Kristensen scheinen ja kaum Eingewöhnungszeit zu benötigen. Raketikité ist nun wohl auch angekommen, Marmoush fühlt sich so wohl, dass er ein sehr gut dotiertes Angebot ausgeschlagen hat, Koch hat es wieder in die Nationalmannschaft geschafft und die ganzen Jungspunde gewinnen an Erfahrung. Tatsächlich einer der spannendsten Kader in der Liga. Wohin das führen wird, ist schwer zu sagen. Die Big Four, Leverkusen, Bayern, Leipzig, Dortmund werden kaum zu überflügeln sein, das Überraschungsteam der letzten Saison, Stuttgart, wird erst einmal zeigen müssen, wie sie mit den Abgängen und der Dreifachbelastung zurechtkommen. Da gibt es eventuell eine Chance. Bestimmt wird wieder ein Team in die Phalanx der Großen einbrechen, dass man vor der Saison so nicht auf dem Schirm gehabt hat, vielleicht können wir das sein. Aber wenn alles normal läuft, werden wir wieder als Best of the Rest Sechster. Was ich als Erfolg verbuchen würde. Vielleicht diesmal mit etwas ansehnlicherem Fußball und vor allen Dingen etwas mehr Erfolg in den Pokalwettbewerben. Damit wäre ich mehr als zufrieden.
Zur taktischen Ausrichtung kann ich nicht so viel sagen, außer dass dem Trainer nun tatsächlich noch viel mehr, auch spielbare, Varianten zur Verfügung stehen als letzte Saison. Letztendlich ist es auch ziemlich egal, wie das jeweilige System nominell heißt, ob 4-4-2 oder 5-3-2 oder 5-2-2-1. Im Spiel und je nach Gegner oder Situation, im Ballbesitz oder gegen den Ball sind das ja heutzutage fluide, asymmetrische Spielordnungen, die mehrfach im Spiel wechseln. Entscheidend ist dabei immer, wie genau und diszipliniert das vom Team ausgeführt wird.
Exemplarisch dabei nochmal das Dortmund-Spiel, nominell sind wir da in einem 4-4-2 angetreten. Allerdings wurde gegen die Ball die Viererkette sogar zu einer asymmetrischen Sechserkette, weil nämlich die ja eigentlich offensiven Mittelfeldspieler Götze und Chaibi in die Kette einrückten und den Außenverteidiger gaben, der jeweils ballferne Spieler weiter vorgerückt. Das haben sie sehr diszipliniert und gut gemacht. Damit wurde das gefürchtete schnelle Dortmunder Flügelspiel komplett zum Stillstand gebracht. Offensiv waren sie wieder in den Halbräumen anspielbar, und Dortmund ist dagegen lange Zeit nix eingefallen. Das erste Gegentor fiel in einem Konter durch eine Undiszipliniertheit beim Doppeln, sonst hätten wir da kein Tor gefangen. Was offensiv gegen Mannschaften geht, die eher hinter uns anzusiedeln sind, konnte man gegen Hoffenheim bestaunen. Ekitiké wird wahrscheinlich diese Saison unser Topscorer werden, gefolgt von Marmoush, aber wir werden viele weitere Torschützen bejubeln können, unser Spiel ist viel variabler geworden.
Toppmöller wird, allein schon um die vielen Hochtalentierten bei Laune zu halten und ihnen Spielpraxis zu geben, viel wechseln und auch rotieren, bei drei Wettbewerben, in denen wir hoffentlich lange vertreten sind, auch notwendig. Je nach Trainingsleistung und Matchplan-Idee werden wir doch diverse Startformationen sehen. Wer da mit wem eventuell aufgestellt wird ist totale Spekulation, mit vielen Kombinationsmöglichkeiten. Andererseits ist es diesmal auch möglich, ohne großen Qualitätsverlust auf Spielsituationen und -verläufe zu reagieren und nochmal neuen Schwung zu erzeugen und den, dann oft schon ermatteten Gegner mit neuen Aufgaben zu konfrontieren und neue Situationen zu kreieren. Es wird für viele Gegner schwierig werden, sich in der Woche vorher auf uns einzustellen, weil wir, bei einer doch wahrscheinlichen Stammelf, viele verschiedene Überraschungen bereithalten können.
Ich hätte es sehr begrüßt, wenn die Verpflichtung von Pascal Groß geklappt hätte; allerdings ist es jetzt auch keine so große Katastrophe, dass nicht. Viel wird natürlich davon abhängen, dass Skhiri wieder zu seiner Glanzform findet, aber auch da denke ich, gibt es kaderintern durchaus Möglichkeiten das zu kompensieren. Schade natürlich, dass Højlund erst mal ausfällt. Ansonsten muss man hoffen, dass Trapp wieder zu seiner alten Souveränität zurückfindet, ein besserer Fußballspieler wird er wohl leider nicht mehr.
Insgesamt haben wir eine tolle Mannschaft mit einer guten Mischung aus erfahreneren Spielern, jungen Raketen, und vielen tollen Perspektivspielern. Die Anzahl der technisch sehr guten Fußballer ist weiter gestiegen. Die Wahrscheinlichkeit einer Saison mit erfolgreichem und vor allen Dingen wieder ansehnlicherem Fußball also auch. Die allgemeine Stimmung und Vorfreude auf die neue Saison ist bei Vielen doch schon wieder ziemlich gestiegen. Bei mir auch.
Also seid gnädig, wenn die Jungs da mal nicht alles in Grund und Boden spielen, denkt dran, das sind auch alles nur Menschen. Und Shit happens. Es wird Rückschläge geben, aber vielleicht nicht mehr so unansehnliche.
Ich hoffe, mein launisches Geplauder hat Euch unterhalten, über ein Feedback freue ich mich natürlich.
Und jetzt: Radkappen schreddern!
Euer Schnix
Titelbild: Helge Prang/Getty Images
Hallo Schnix,
als stiller Mitleser dieses Blogs sage ich vielen Dank für Deine Mühen und ausführlichen Gedanken zum aktuellen Kader der Eintracht. Hat Spaß gemacht zu lesen. Manchmal bist Du vielleicht etwas zu optimistisch, aber das Glas darf auch mal halbvoll sein 🙂 Insgesamt teile ich Deine Einschätzungen aber.
An dieser Stelle auch vielen Dank an die Betreiber dieses Blogs, dass Ihr Euch die Mühe macht, Eure Gedanken zu unserer Eintracht mit uns Eintracht-Fans zu teilen. Ich lese Eure Gedanken jedenfalls immer sehr gerne.
Beste Grüße aus München
Ich kann mich nur wiederholen: sehr interessante Analyse, gut zu lesen, und die optimistische Haltung gefällt mir!
Schnix: 1000 Dank!
Ich fasse mich – wie üblich – kurz:
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